Christen und christliche Kirchen seien aufgerufen, sich noch viel entschiedener und konkreter für Frieden einzusetzen. Zucconi wies darauf hin, dass derzeit weltweit mehr als 60 offene kriegerische Auseinandersetzungen im Gange sind, von denen von den Menschen in Westeuropa nur einige wenige überhaupt wahrgenommen werden. Gründe dafür seien zum einen wachsende Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Mitmenschen, zum anderen zunehmende Verängstigung und ein Gefühl der Ohnmacht.
Die Sommerakademie der katholischen Männerbewegung war von 18. bis 20. Juli dem Thema Friede und Versöhnung gewidmet. Über viele Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg hätten für Westeuropäer Kriege „weit weg“ stattgefunden, ihre Folgen hätten sie nicht erreicht, so Zucconi. Mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges von Russland gegen die Ukraine und der Aufkündigung von Verträgen über die Nichtverbreitung von Atomwaffen sei die Bedrohung wieder näher gerückt.
Krieg schafft keinen Frieden
„Heute befinden wir uns in einer Situation starker internationaler Spannungen, in einer chaotischen, multipolaren, konfliktreichen und verwirrenden Welt. In dieser Welt nehmen autoritäre Staaten zu, die Gewalt anwenden und Desinformationen verbreiten, korrupte Staaten, die für Macht und Geld das Blut ihrer Bürger vergießen. Der Weltfrieden ist stark gefährdet“, warnte Zucconi. „Es braucht nicht viel: ein Unfall, und es kann zu einer Katastrophe von globalem Ausmaß kommen.“
Gleichzeitig sei in den vergangenen Jahren „der Krieg als Mittel zur Konfliktlösung rehabilitiert worden“, kritisierte der Generalsekretär von Sant’Egidio. Auf- und Wettrüsten werde als Mittel der Friedenspolitik wieder akzeptiert. „Was ist aus der Diplomatie, dem Dialog geworden? Wir dürfen uns nicht von der Logik des Krieges und des Sieges verführen lassen; vor allem, weil in einem Krieg alle Verlierer sind“, unterstrich Zucconi.
"Was ist aus der Diplomatie, dem Dialog geworden?
Die Geschichte lehre: „Der Krieg hat die Welt immer schlechter hinterlassen, als er sie vorgefunden hat. Krieg sät Hass und Armut, und er ist die Brutstätte weiterer Kriege.“ In nicht unmittelbar betroffenen Ländern verstärkten Kriege „eine Kultur der Abschottung und der Feindbilder und nähren populistische und antidemokratische politische Bewegungen“. Wer sich für einen Frieden ohne Waffen einsetzt, werde rasch als „naiv“ verunglimpft, stellte Zucconi fest. Mindestens so naiv sei es aber, an einen Frieden durch Waffen zu glauben.
Zucconi rief dazu auf, angesichts der aktuellen Weltlage sich dennoch nicht von Pessimismus und Gefühlen der Ohnmacht leiten zu lassen. Jede und jeder einzelne könne etwas zum Frieden beitragen, das sei eine zentrale Botschaft des christlichen Glaubens. Er zitierte dazu Worte von Johannes Paul II. beim historischen Friedenstreffen der Weltreligionen 1986 in Assisi: „Der Friede ist eine Werkstatt, die allen offensteht, nicht nur Fachleuten, Gebildeten und Strategen. Der Friede ist eine universale Verantwortung: Er verwirklicht sich durch tausende kleiner Handlungen im täglichen Leben. Durch die Art ihres täglichen Zusammenlebens mit anderen entscheiden sich die Menschen für oder gegen den Frieden.“
Frieden suchen mit dem Feind: „Mit wem denn sonst?“
Wie Zucconi bei der KMBÖ-Sommerakademie betonte, gebe es keinen „gerechten“ Krieg, jeder Krieg „ist schmutzig, ungerecht, mörderisch“. Genauso wenig gebe es aber einen „gerechten“ Frieden: „Frieden ist immer nur durch einen Kompromiss erreichbar, der alle Seiten unzufrieden macht und anfänglich oft schmerzhaft ist, aber zumindest das Blutvergießen beendet.“ Auch Sant’Egidio werde manchmal dafür kritisiert, dass sie „mit dem Feind redet, der Blut an den Händen hat“. Zucconi dazu: „Wenn man den Frieden nicht mit dem Feind sucht, mit wem denn sonst?“
Zucconi appellierte an die Christen, über Frieden nicht nur zu debattieren oder von einer friedlichen und menschlichen Welt nicht nur zu träumen, sondern sich ganz konkret dafür einzusetzen. Als ein Beispiel nannte er den Einsatz von Sant’Egidio für humanitäre Korridore, die es bis heute rund zehntausend Menschen auf der Flucht vor Krieg und Elend ermöglicht haben, legal und sicher nach Italien, Frankreich und Belgien zu gelangen. Da diese Menschen von Familien, Pfarren und Vereinen aufgenommen werden, verlaufe ihre Integration schneller und effektiver.
Gebete für Frieden
Abschließend hob Zucconi ein zentrales Element im Leben der Gemeinschaft von Sant’Egidio hervor: das Gebet um Frieden. In der Kirche Santa Maria in Trastevere in Rom findet dieses Gebet täglich um 20.00 Uhr statt. Man kann sich daran auch über das Internet beteiligen.
Zu einem Ökumenischen Friedensgebet versammelten sich auch die Teilnehmer der KMBÖ-Sommerakademie in einem zentral gelegenen Park in St. Pölten, gestaltet vom Geistlichen Assistenten der KMBÖ, Pfarrer Andreas Jakober, und dem evangelischen Senior von Niederösterreich, Pfarrer Rainer Gottas.
Sant’Egidio 1968 gegründet
Die 1968 in Rom von Studenten gegründete Gemeinschaft Sant’Egidio setzt sich seit ihrer Gründung in diesem Sinn für Arme und Benachteiligte – unter ihnen alte Menschen, Obdachlose, Migranten, Menschen mit Behinderung, Gefangene und Straßenkinder – sowie für Dialog, Zusammenarbeit und Frieden ein. Heute sind ihre Gemeinschaften in mehr als 70 Ländern der Welt präsent, in vielen Konfliktgebieten. Zur Gemeinschaft gehören Männer und Frauen jeden Alters und aller Schichten. Sie hat zu Friedensschlüssen in mehreren, oft aussichtslos erscheinenden Konflikten beigetragen, etwa 1992 in Mosambik.